Aus der Chronik: Borsteler Erntefeste einst Publikumsmagnet

von Heinz Otten

1948 - Hurra, wir haben die Deutsche Mark. Langsam geht es wieder aufwärts. Die Schaufenster und die Läger der Geschäfte füllen sich wieder. Die langen Zeiten der Entbehrungen haben auch das dörfliche Leben geprägt, man will wieder leben, man will wieder feiern, lustig sein, fröhlich sein. Vorbei ist die Zeit der Heißgetränke, der Rüben-, Kartoffel- und Roggenschnäpse, Fischwürstchen und Maisbrote. Bei Segelken läuft wieder der Bierhahn und „Glanders Alter Verdener".

Es wird Herbst. Die Ernte ist mit Hilfe der damaligen zahlreichen landwirtschaftlichen Hilfen gut eingebracht - ja, und warum sollte man das nicht zünftig feiern? In Borstel wird das erste Erntefest gefeiert. Die Dorfjugend plant und plant - und man kann im nachhinein sagen, sie hatte gut geplant. Der größte Hof in Borstel war der Hof von der Decken. Was lag also näher, als hier auch den ersten Erntekranz abzuholen.

Marianne Wittrock geb. Elling, damals Hausmädchen auf dem Gutshof, sprach das erste Erntegebet. Erntebräutigam war Walter Thran (heute Gast- und Landwirt auf dem Backsberg). Der mit viel Liebe und ebenso viel Arbeit herausgeputzte Erntekranz wurde nach dem Umzug durch Hassel, Borstel und Fuhrenkamp zum Gasthof Segelken gebracht, wo er seinen Platz an der Decke im Saal fand. Nach dem Erntegebet und dem Lied „Nun danket alle Gott" konnte der festliche Teil beginnen.

Im nächsten Jahr traf sich die Dorfjugend das zweite Mal zwecks Erntefest-Ausrichtung. Der Kranz wurde vom Hof von Hermann Sander geholt. Die Tochter des Hauses, Anita, sprach das Erntegebet. Als Erntebräutigam fungierte Günter Budelmann (heute Brillkamp). Da auch dieses Fest wieder ein voller Erfolg wurde, war es von vornherein klar, daß auch im nächsten Jahr wieder ein Erntefest gefeiert würde. Langsam schälte sich unser Erntefest als das schönste aus der näheren und weiteren Umgebung heraus. Wer denkt nicht noch gern an die schöne Erntekrone, die mit lautem „Ah" und „Oh" bestaunt wurde. Die zahlreichen schön gebundenen Herbstblumen, Ähren, die geschwungenen auf Fäden gezogenen roten Vogelbeeren und die sogenannten weißen Knackäpfel bildeten wunderschöne Schmuck-Ket­ten. Ebenfalls die mit viel Mühe herausgeputzten Erntewagen, allen voran die Reiter in Frack und Zylinder, die schöne Kutsche mit Braut, Bräutigam und Beistand in hübschen Kleidern, davor Rosenbrocks schwarze Pferde. Auf dem Kutscherbock Kutscher und Mitkutscher in weißem Frack und Zylinderhut. Sehr schön anzusehen auch die Kinder mit ihren bunt geschmückten Fahrrä­dern.

Am 31. September 1951 war nun der Fuhrenkamp dran. Der Erntekranz wurde vom Hof Meyer (Alwine und Helmut) abgeholt. Erntebräutigam Hans-Georg Eggert (damals bei v. d. Decken) forderte den Kranz heraus. Marianne Ellmers, Fuhrenkamp, (heute in Bücken) sprach das Erntegebet bei Segelkens. In diesem Jahre waren zehn Erntewagen fertiggestellt worden, von denen die besten einen Preis bekamen: 1. Heinr. Mindermann, 2. v. d. Decken, 3. Ditzfeld, 4. Behnken, 5. Rosebrock, 6. Meyer-Fuhrenkamp. Der nachmittägliche Kinderball sowie der abendliche Festball waren sehr gut besucht, auch von zahlreichen auswärtigen Gästen.

Der 21. September 1952 war ein total verregneter Tag. Es hat den ganzen Nachmittag und Abend unaufhörlich geregnet. Aber die Borsteler trotzten dem Unwetter. Um 14 Uhr stellten sich die Festwagen bei Segelken auf, um danach den Kranz von Landwirt Fahrenholz-Hassel abzuholen. Die Tochter des Hauses, Hannelore, wurde dem Erntebräutigam Willi Kohlmann zur Seite gestellt. In diesem Jahr nahm zum ersten Mal auch der Gesangver­ein Embsen an der Erntefeier zur Ausschmückung teil.

Auch 1953 fuhren wieder zehn prächtige Erntewagen durch das Dorf zum Hof von Hermann Thran. Sohn Walter (heute Backsberg) hatte Margret Sieling (Fuhrenkamp) an seiner Seite. In diesem Jahr fanden der Kinderball und der abendliche Festball erstmals im Saal und Zelt statt. Doch das war fast noch zu klein für die große Besucherschar. Man muß dabei bedenken, daß das Fest in einem Sonntag stattfand.

Endlich, am 19. September 1954, konnte das Fest wieder bei bestem Sommerwetter gefeiert werden, nach zwei Regenjahren. Der Erntekranz war auf Tietjens Hof zum Abholen bereit. Die „Nichte des Hauses", Marita Segelken (jetzt Marita Pein, Am Westerfeld) und Johann Ditzfeld hatten die ehrenvolle Aufgabe des Ein-Tags-­Brautpaares übernommen.

Am 22. September 1955 stand im Achimer Kreisblatt zu lesen: Was die Ausschmückung der Borsteler Festwagen betrifft, steht Borstel an der Spitze weit und breit. Dieses Jahr sprach Hermann True das Erntegebet. Zusammen mit Erika Dunker (heute Barning, Laheit) ging der Erntekranz zu Segelkens ins Festzelt.

Am 22. September 1957 fuhren um 14 Uhr die Festwagen bei Segelkens nach der Aufstellung los zum Hofe von Hinrich Fehsenfeld-Fuhrenkamp (heute Kurt und Elfriede Meyer). Johann Ditzfeld war zum zweiten Mal der Erntebräutigam. Zusammen mit der Tochter des Hauses, Elfriede, fuhr man durch die spalierbildenden Menschenmassen nach Segelken zur Erntefeier zurück.

Am 14. September 1958 kann noch keine Erntefest Müdigkeit festgestellt werden. Ganz im Gegenteil: im Achimer Kreisblatt hieß es: wer einmal Teilnehmer des nach altem Brauchtum gefeierten Festes Gast war, wird in Borstel immer wieder gern dabei sein. Einen Großteil der Bewohner der Stadt Achim sah man als frohgestimmte Gäste in Borstel wieder. Der festliche Umzug führte zum Hofe des Landwirts Hermann Ditzfeld, Borstel. Auf dem väterlichen Hof forderte Hermann Ditzfeld jun. die Krone heraus. Erntebraut war Ursula Ilsemann, (damals wohnhaft bei Jägeler, heute verheiratet in Nordhornsberg). Nach der Erntefeier nahm das Fest seinen gewohnten Verlauf.

Am 20. September 1959 - bei herrlichstem Sommerwetter - fuhr der Zug zum Hofe von Diedrich Siemer, Zur Graft. Tochter Diedlinde fungierte als Erntebraut, ihr Partner war Herbert Gerken, Borsteler Hauptstraße. In diesem Jahr bediente man sich übrigens zum erstenmal der pferdebespannten Droschke von Fuhrunternehmer Mindermann (Roll-Mindermann) in Achim.

Auch 1960 zogen die Leute in Scharen in Richtung Borstel. Zehn Festwagen fuhren - begleitet von der Musik der Schützenkapelle Bernhard Müller, Fischerhude - in Richtung Hof von Hinrich Puvogel. Laut Kreisblatt folgten wahre Kolonnen von Radfahrern und Fußgängern dem festlichen Zug. Alfred Gerken (heute in Baden) forderte in launigen Worten die hübsch gebundene Erntekrone. Erntebraut war Gerda Budelmann, Borstel (heute Adamczyk, Achim). Bei Segelken stauten sich vor den Eingängen zum Saal und Zelt Hunderte von Gästen.

Am 25. September 1961 führten zwei Vorreiter den Umzug zum Hofe von Hermann Osmers, Borstel. Brün-Erich Budelmann und Elfriede Dunker (heute Knief, Bollen) waren in diesem Jahre das glückliche Paar. Zehn Erntewagen waren auch in diesem Jahre immer noch dabei ... und im Jahre 1962 ebenfalls noch zehn. Doch der Schein muß wohl etwas getrogen haben, denn in diesem Jahre gab es ein letztes Erntebrautpaar: es waren Ilse Segelken und Hermann Mindermann - und der letzte Erntekranz wurde vom Hofe Oetjen abgeholt.

Das war also das Ende. Was mag wohl passiert sein? Fest steht jedenfalls: das abendliche Geschäft wurde schlech­ter. Die Leute wollten am nächsten Morgen ausschlafen können. Das paßt aber nicht ins Konzept eines Erntefe­stes mit Umzug. Außerdem waren die Pferde dem Trecker gewichen. Umzug mit dem Trecker war eben nicht nach jedermanns Geschmack.

Bei Segelkens wurde freilich weiter Erntefest gefeiert - ja sogar an zwei Tagen, Samstag und Sonntag. Auch hing noch ein Kranz an der Saaldecke. Dann wurde aus zwei Festtagen einer, der Samstag. Anfang der siebziger Jahre kam dann das „Aus". Jahre später hat dann die Landju­gend versucht, in Borstel etwas auf die Beine zu stellen. Butterkuchen wurde bei Thrans im alten steinernen Backofen gebacken. Jedoch von Erfolg kann wohl nicht mehr gesprochen werden. Bald kam der Tag, daß unsere gute alte Gaststätte ja auch verkauft wurde. Jetzt versuchte die Landjugendgruppe Achim fieberhaft, ein Ge­meinschafts-Erntefest Borstel-Embsen zu organisieren. Einmal, 1983, haben sogar die Borsteler Völkerball-Frauen einen Wagen geschmückt, mehrmals wurde auch in Borstel wieder ein Erntekranz abgeholt - aber ich habe leider das Gefühl, daß auch diese Bemühungen keine Früchte tragen werden.